Ganztägig lernen. Gemeinschaft erleben. Individuell fördern.

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Schüler machen Zeitung - Januar 2016

Oma lebt ein Leben ohne Erinnerungen
 

Der Raum ist hell beleuchtet. Ein Mann spielt Klavier und singt dazu Lieder, die ich nicht kenne. Die Stimmung im Haus ist gut, und alles fühlt sich irgendwie positiv an. Die Menschen um mich herum tanzen. Einige versuchen, ihre Glieder – ihre müden Arme und Beine – zur Musik zu bewegen. Wäre der Raum voller junger Menschen, würde man sagen: Das hier ist eine Party. Um mich herum sehe ich aber nur alte Menschen.
Die Menschen hier sind fröhlich – zumindest lächeln sie
Ich besuche – wie jeden Sonntag – meine Großmutter. Sie lebt in einer Pflegeeinrichtung in Hamburg. Eigentlich ist das hier ein toller Anblick. Die Menschen sind fröhlich. Zumindest lächeln sie. Es scheint ihnen gut zu gehen. Sie haben Spaß. Einige von ihnen werden das, was hier gerade stattfindet, wahrscheinlich in ein paar Minuten vergessen haben. Viele der Menschen, die hier leben, sind dement.
"Weg vom Geist" beziehungsweise "ohne Geist" – so lautet die wörtliche Übersetzung des Begriffs Demenz aus dem Lateinischen. Demenz ist der medizinische Fachbegriff für eine fortschreitende und dauerhafte Veränderung des Gehirns. Diese Veränderung führt zum allmählichen Verlust der Denkfähigkeit. geistigen Leistungsfähigkeit.
Am Anfang der Krankheit stehen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit. In ihrem weiteren Verlauf verschwinden auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses, sodass die Betroffenen zunehmend die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten verlieren.
Ob noch gut zu Fuß oder aber im Rollstuhl sitzend – man sieht den alten Menschen, die mit meiner Oma hier leben, an, dass sie großen Gefallen an dieser alle drei Monate stattfindenden Musik- und Tanzveranstaltung haben. Meine Großmutter sitzt im Rollstuhl. Ihre Finger bewegen sich leicht im Takt zur Musik des Klavierspielers. Sie scheint die Melodie zu erkennen. Früher hätte sie mitgesungen und ganz bestimmt auch getanzt. Meine Oma hat früher sehr gern getanzt.
"Tanzen ist gesund und hält fit" hat sie vor Jahren einmal zu mir gesagt. Dieser Satz war damals für mich einfach nur ein Satz eines alten Menschen. Inzwischen hat er für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Demenzerkrankte verlieren nach und nach den Bezug zu ihrer Umwelt. Sie stellen immer wieder dieselben Fragen, nehmen vieles nicht mehr wahr oder ordnen es falsch ein. Das macht ihnen Angst und sorgt für Antriebs- oder Ruhelosigkeit.
Eine alte Dame spricht mich an. "Gehören Sie zu Frau Bellmann ?" fragt sie. Ich antworte ihr: "Ich bin die Enkelin von Frau Bellmann." Die Dame lacht mich an und sagt zugleich mit trauriger Stimme: "Wie schade ist es doch, dass die Ilse nicht mehr sprechen kann". "Oh ja", denke ich. "Wie recht sie doch hat". Ich beobachte weiterhin die Menschen um mich herum und spüre die fröhliche Stimmung. Mir ist nicht bekannt, wie viele von ihnen dement sind.
In frühen Stadien sieht man es den Betroffenen auch nicht an.
Die Alzheimerkrankheit ist mit einem Anteil von 60 bis 65 Prozent die häufigste Demenzform. Die Demenz vom Alzheimertyp ist eine degenerative Krankheit des Gehirns, während deren Verlauf Nervenzellen des Gehirns unwiderruflich zerstört werden. Von den ersten Symptomen bis zum Tod des Erkrankten dauert sie durchschnittlich sieben Jahre.
Alzheimer tritt vor allem bei älteren Menschen auf. Die meisten Patienten sind älter als 80 Jahre. In seltenen Fällen kommt die Krankheit aber auch schon bei 50-Jährigen vor. Die genaue Ursache ist trotz großer Forschungsanstrengungen noch immer nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass die Erkrankung zur Zerstörung von Nervengewebe im Gehirn führt und den Informationsaustausch zwischen den intakten Zellen behindert.
Zum typischen Krankheitsbild kann eine depressive Verstimmung gehören, aber genauso ein aggressives Verhalten. Im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit können die Betroffenen ihren Alltag nicht mehr ohne Hilfe bewältigen. Andere Ursachen für Demenz können Schlaganfall, Herz-infarkt, die Parkinson-Krankheit sein.
Ich beobachte, wie die Dame, die mich eben angesprochen hat, versucht, eine Tür nach außen zu öffnen. Sofort ist eine der ehrenamtlich helfenden Personen da und geleitet Frau Lüdemann, so heißt die Dame, wieder in die Saalmitte. Leidet auch Frau Lüdemann unter dem für die Demenz typischen Gedächtnisverlust und ist von einer auf die nächste Minute verwirrt? Ich weiß es nicht.
Ich widme meine Aufmerksamkeit wieder meiner Oma, mit der ich über die Jahre eine neue Art der Kommunikation gefunden habe. Eine Unterhaltung in gewohnter Form ist nicht mehr möglich. Aber an ihren Augen – und manchmal auch an ihrer Mimik – erkenne ich, dass sie mich versteht.
In Deutschland leben gegenwärtig 1,5 Millionen Demenzkranke
Eine direkte Zuneigung und körperliche Berührungen sind besonders wichtig bei Demenzkranken. Die Bezugspersonen und Angehörigen übernehmen eine sehr wichtige Aufgabe, die sich in der Regel über viele Jahre hinzieht. Es gibt Möglichkeiten, aus der Zeit mit der Krankheit wertvolle und erfüllte gemeinsame Jahre zu machen. Dafür ist es wichtig, sich ein entsprechendes Wissen über die Krankheit und den Umgang mit den Erkrankten anzueignen. Weiter sollte die persönliche Würde der Erkrankten gewahrt und ihre Eigenständigkeit so lange wie möglich erhalten werden. All das versuche ich umzusetzen, wenn ich mit meiner Oma zusammen bin.
In Deutschland leben gegenwärtig etwa 1,5 Millionen Demenzkranke. Jahr für Jahr treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf. Infolge der demografischen Veränderungen kommt es zu weitaus mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen unter den bereits Erkrankten. Aus diesem Grund nimmt die Zahl der Demenzkranken kontinuierlich zu. Sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, wird sich nach Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 auf etwa 3,0 Millionen erhöhen. Dies entspricht einem mittleren Anstieg der Zahl der Erkrankten um 40.000 pro Jahr oder um mehr als 100 pro Tag.
Es ist 17 Uhr, das letzte Lied des Klavierspielers ist verklungen. Die alten Herrschaften werden von den Pflegern und den ehrenamtlichen Helfern auf ihre Stationen und in ihre Zimmer gebracht. Ich schließe mich mit meiner Oma der Karawane an und schiebe sie im Rollstuhl in ihr Zimmer.
Auch wenn sie Woche für Woche, Monat für Monat mehr von ihrem Leben vergessen wird – in meinem Leben spielt meine Großmutter nach wie vor eine ganz große und wichtige Rolle. Ich versuche, ihr das bei jedem Besuch zu zeigen.
Paula Bellmann, Klasse 10b

Interview Vom Alltag eines Polizisten in St. Georg

Im Hamburger Stadtteil St. Georg leben mehr als 12.000 Menschen. Viele Hamburger gehen hier täglich zur Arbeit. Einer von ihnen ist Oberkommissar Birger Falinski. Die Schülerreporterin Sabrina Panten hat den Polizisten getroffen und ihn für das Hamburger Abendblatt interviewt. Birger Falinski erzählt von seinem Beruf und dem Alltag eines Bürgernahen Beamten – kurz BÜNABE – in St. Georg.

Hamburger Abendblatt: Herr Falinski, Sie sind in St. Georg als Polizist eingesetzt. Wie lautet die offizielle Bezeichnung?

Birger Falinski: Bei der Polizei intern lautet die offizielle Bezeichnung BFS. Die drei Buchstaben stehen für ,Besonderer Fußstreifendienst'. Aber im Stadtteil sind wir als Stadtteilpolizisten beziehungsweise als BÜNABE, also Bürgernahe Beamte bekannt.

Waren Sie vorher schon einmal in anderen Stadtteilen eingesetzt?

Falinski : Nach meiner Ausbildung war ich zunächst in der Bereitschaftspolizei. Dort war ich für ganz Hamburg eingesetzt, und dann war ich zehn Jahre in Bergedorf an der Revierwache. Danach habe ich fünf Jahre in Billstedt beim Jugendschutz gearbeitet. Anschließend bin ich nach St. Georg gekommen.

Wie lange sind Sie schon in St. Georg tätig?

Falinski : Seit drei Jahren. Im ersten Jahr hatte ich das Betreuungsgebiet zwischen Berliner Tor und Hühnerposten mit vielen sozialen Einrichtungen. Jetzt, seit zwei Jahren bin ich im Gebiet zwischen Asklepios Klinik St. Georg und Hansaplatz unterwegs

Wie viele Bürgernahe Beamte gibt es in St. Georg?

Falinski : St. Georg gehört zu dem Gebiet der Wache 11. Dieses Gebiet ist in sechs Betreuungsgebiete aufgeteilt. Jedes Gebiet hat seinen eigenen Charakter.

Da ist einmal das Gebiet, wie eben schon gesagt, zwischen Berliner Tor und Hühnerposten mit vielen sozialen Einrichtungen. Dann gibt es das Gebiet der Hochschule für Angewandte Wissenschaften zwischen Adenauerallee und Steindamm bis zum Kreuzweg. Dort sind ziemlich viele Seniorenanlagen und islamische Gemeinden, die betreut werden müssen. Es gibt auch noch mein Gebiet mit vielen Schulen, insgesamt fünf an der Zahl. Außerdem gibt es noch das Gebiet Hansaplatz und Umgebung mit viel Rotlichtmilieu und das Betreuungsgebiet Hauptbahnhof.

Was gehört zu Ihren Aufgaben?

Falinski : Kontakt zu den Bewohnern zu halten und zu den Geschäftsleuten, außerdem zu den sozialen und religiösen Einrichtungen. Dann bin ich außerdem noch Schulpolizist. Wenn es in einem Betreuungsgebiet eine Schule gibt, wird sie von dem Bürgernahen Beamten betreut. Da hat man dann doch noch mehr mit den jugendtypischen Aufgaben zu tun. Ich führe auch Gespräche mit Opfern von besonderen Straftaten.
Dazu zählen Raubopfer beziehungsweise Opfer von Einbrüchen, bei denen es Kontakt zwischen Täter und Opfer gab. In dem Fall waren die Opfer in ihrer Wohnung, während dort eingebrochen wurde. So etwas ist dann ein besonderes Ereignis. Wenn ich mich ein oder zwei Tage später bei den Opfern melde, kann das unheimlich zur Beruhigung der Opfer beitragen.

Was ist für Sie persönlich das Besondere an Ihrem Job?

Falinski : Zum einem ist es die Selbstständigkeit. Ich gehe durchs Gebiet, und die Aufgaben kommen irgendwie auf mich zu. Dann kann ich sie auch so erledigen, wie es sich für die Polizei gehört. Man muss sich immer fragen, warum spricht jemand, der ein Problem hat, einen Polizisten an? Er erwartet polizeiliches Handeln. Der Kontakt zu den vielen unterschiedlichen Menschen in St. Georg ist auch etwas Besonderes. Für mich persönlich ist das eine unheimliche Bereicherung zu sehen, was für verschiedene Menschen es in einem einzigen Stadtteil so gibt.

Was sehen Sie in Ihrem Job beinahe täglich?

Falinski : Menschen, die nicht wissen, wie sie mit ihren Problemen umgehen sollen und in der Folge obdachlos, suchtkrank oder gewalttätig werden. Das zieht sich durch alle Altersklassen, auch bei Kindern und Jugendlichen. Schon bei Kindern in der Grundschule ist das manchmal auffällig, wenn da einer zwei- oder dreimal die Woche auf dem Schulhof seine Mitschüler schlägt. Das sind häufig Kinder, die haben offensichtliche Probleme, und sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Bei Erwachsenen ist das manchmal genauso. Sie sprechen nicht über ihre Probleme, wenden sich nicht an entsprechende Hilfseinrichtungen oder haben Hemmungen, sich Hilfe zu holen. In der Folge können sie obdachlos werden, oder sie greifen zu Alkohol und Drogen und rutschen ab in eine Sucht.

Was ist für Sie das Besondere an St. Georg?

Falinski : Die Vielfalt. Wahrscheinlich wäre es langweilig, in einem Wohngebiet als Bürgernaher Beamter zu arbeiten. In einem Wohngebiet, in dem alle um Punkt 16.30 Uhr nach Hause kommen, die Tür hinter sich zumachen und nicht wieder herauskommen. In St. Georg gibt es alle Menschen: arme, reiche, gesunde und kranke Menschen. Leute aus der politisch linken Ecke, der politisch rechten Ecke. Religiöse Menschen und solche mit verschiedenen sexuelle Orientierungen.

Wie würden Sie St. Georg in einem Satz beschreiben?

Falinski : St. Georg ist ein sehr bunter Stadtteil, in dem es alles gibt, was das Leben zu bieten hat.

Sabrina Panten, 10b
 

Vom anstrengenden Alltag einer Bereitschaftspflegefamilie
Bereitschaftspflegefamilien sind Familien auf Zeit, die Kinder für Wochen, Monate, ein halbes Jahr oder manchmal für ein paar Tage bei sich aufnehmen.
Eine Aufgabe, die alle an ihre Grenzen bringt. Es wird sehr viel Flexibilität und ein hohes Anpassungsvermögen von Bereitschaftspflegefamilien verlangt. Es können Kinder drogensüchtiger oder sehr junger Eltern sein, aber auch Kinder, die missbraucht oder vernachlässigt wurden. Die Zeit, in der die Kinder in den Bereitschaftspflegefamilien leben, dient zur Klärung der Familiensituation. So gewinnt das Jugendamt Zeit, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Kann das Kind zurück zu seinen Eltern? Oder muss für das Kind eine Dauerpflegefamilie oder eine Wohngruppe gesucht werden? Oft wird den leiblichen Eltern auch die elterliche Sorge entzogen, und dann tritt der Vormund ein. Die Kinder kommen teilweise mit einer halben Stunde Vorankündigung in die Familien, meistens haben sie nur die Sachen dabei, die sie tragen. Bereitschaftspflegefamilien bekommen pro Monat einen Geldbetrag dafür, das ist aber für das Jugendamt weitaus billiger als eine Heimunterbringung. Die Bereitschaftspflegefamilien werden vom Jugendamt und einem freien sozialen Träger betreut.
Bereitschaftspflegefamilien sollen 260 Tage im Jahr zur Verfügung stehen. Für das Pflegekind muss ein eigenes Zimmer vorhanden sein, und eine erwachsene Person muss zu Hause bleiben. Der Alltag in einer Bereitschaftspflegefamilie kann anstrengend sein. Eine solche Familie kenne ich – meine Familie.
Justin Findeisen, 10a